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Montag, März 07, 2011

abschied /von glumm

Abschied

Von glumm
 
Treiben lassen, treiben, egal wohin, wichtig ist allein das Wegkommen. Das Telefon. Lena ruft an, aus Berlin. Ihr Chef hat sie auf eine Woche in die große Stadt eingeladen. Irgendwie geht es ihr nicht so toll, ich höre es an ihrer verdrucksten Stimme. Sie erzählt, was sie so macht, unter welchen Leuten sie ist, und so. Von ihrem Chef kein Wort. Nur dass er ihr einen pompösen weißen Millionenfummel gekauft hat. Sie ist so weit weg. So komisch drauf.
„Ich hab die letzten Tage ein paar Mal bei dir angerufen, nie warst du da“, beschwert sie sich.
„Na, ich war viel unterwegs.“
„Hast du bei der Zahnkuh geschlafen?“
„Zahnkuh..? Welche Zahnkuh?“
„Na, Martina. Die dir dauernd Zuckerstangen schenkt.“
„Eine Zuckerstange hat sie mir geschenkt, eine einzige.. nicht dauernd welche..“
„Also, hast du bei der Kuh geschlafen oder nicht!?“
Mist. Ich zögere....


Und weil ich zögere, kann ich mich nicht mehr herausreden. Dabei hätte ich es ihr lieber gebeichtet, wenn sie zurück ist aus Berlin. Andererseits, was heißt gebeichtet. Lena macht schließlich schon lange, was sie will, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen. Trotzdem fühle ich mich wie ein Verräter an unserer Sache, als ich zugebe, die Nächte bei Martina verbracht zu haben, der Zahnarzthelferin.

Schon geht die Post ab. Kommt Lena genauso drauf, wie ich immer draufkomme, wenn ich spitz kriege, dass sie was laufen hat mit einem Anderen. Außerdem kennt sie Martina, weiss, wie hübsch sie ist. Dass sie Charme hat. Konkurrenz ist.

Ob ich verliebt sei? Ob ich Martina gevögelt habe? Wie oft?

„Bist du jetzt mit ihr zusammen??“

Die gleichen verflixten Fragen, die gleichen genervten Antworten. Nur eben andersrum. Was soll ich sagen? Bin ich mit Martina zusammen? Ich weiß nicht. Ich glaub nicht. Blödsinn. Natürlich nicht. Lena bohrt weiter. Hört nicht auf. Bis ich ihr endlich die Antwort gebe, die sie hören will, ihr entgegenschleudere wie ein Weihrauchgefäß beim großen Gottesdienst. Eine wahrhaft kathedrale Lüge: „Ja!“

„Ja. Ich bin mit ihr zusammen.“

Lena ist völlig daneben. Ich bin so cool. So cool wie sie sonst ist, wenn mir die Felle davonschwimmen.

„Ich liebe dich so sehr, dass ich versucht hab, von dir wegzukommen“, sagt sie. „Kann man jemanden mehr lieben?“

Jetzt habe sie Sehnsucht nach mir. Sie sei so eifersüchtig. Sie wolle mich irgendwann heiraten und ein Baby von mir haben. Ein Baby, kein Kind.

„Möchte ich doch auch“, sag ich überrascht, „vielleicht, irgendwann. Aber jetzt will ich erst mal ein bisschen.. gucken. Mich umgucken. Den Markt sedieren.“

„Sedieren? Wie, sedieren?“

„Sortieren. Sortieren, meine ich.“

Verdammt. Ich blicke nicht mehr durch.

Eine Woche später. Lena ist zurück. Wir sind zum Schwimmen verabredet. Um zehn soll ich sie abholen. Ich bin früh wach an diesem Freitag und nehm den Weg durch die Stadt. Früher als abgemacht stehe ich vor ihrer Wohnung und wundere mich, dass das Rouleau oben ist. Dass sie schon wach ist. Ich schelle. Sie macht nicht auf. Ich steige auf den Mauerabsatz unterm Fenster und schaue ins Schlafzimmer. Ihr Bett ist leer. Unbenutzt.

Na klasse, denk ich, und muss lachen. Ein trauriges Lachen. Höhnisch. Wie kaputt das zwischen uns ist. Nicht mal eine harmlose Verabredung kriegen wir noch hin. Was jetzt? Soll ich allein ins Freibad? Die Badehose hab ich drunter.

Jäh baut sich ein langer, schon um diese frühe Uhrzeit stickig heißer Tag vor mir auf, ein mächtiger Gegner, ohne Gnade. Die August Dicke-Strasse runter, pralle ich zurück in die Stadt. Um zehn nach Zehn rufe ich sie aus einer Telefonzelle an. Sie ist da.

„Gut geschlafen?“

„Ja“, sagt sie.

„Aha. Und mit wem?“

„Wie.. mit wem? Was meinst du?“

„Na, wo du warst heut Nacht.“

„Wie, wo war ich heut Nacht war..? Was redest du da? Zuhause natürlich.“

„Wieso lügst du? Ich war eben schon bei dir, vor ner halben Stunde.“

Schweigen. Hall in der Leitung.

„Also.. gut. Ich hab hinten beim Chef auf der Couch geschlafen. Ist spät geworden gestern. War ganz harmlos. Ist nichts passiert.“

Mir doch egal. Ich leg auf. Keine fünf Minuten später rufe ich erneut an.

„Ich komm jetzt.“

Sie macht die Türe auf. Na ja. Sie ist müde, k.o. vom langen Kellnern. Will sich noch eine Runde hinlegen, bevor wir Schwimmen gehen. Nach kurzem Zögern lege ich mich zu ihr. Sie holt mir einen runter. Geil und verzweifelt zugleich. Sie bleibt trocken. Das ist noch nie passiert, sie ist noch nie nicht feucht geworden. Sie schläft ein. Ich bleib wach.

Um eins wecke ich sie auf. Sanft. Wir frühstücken und rufen ein Taxi. Der Fahrer setzt uns oben am Bismarckplatz ab. Dahinter beginnt der lange Pfad, der sich durch den Wald bis runter ins Freibad Schellberg schlängelt. Gartenzäune knacken in der Hitze, wir pflücken wilde Erdbeeren, die nach Traubenzucker schmecken. Ein Marienkäferchen lässt sich auf meiner Schulter nieder, ein Sendbote vergangener glücklicher Tage.

„Irgendwie so romantisch“, sag ich.

„Romantisch? Pff. Wenn ich ner Kuh auf der Wiese beim Scheißen zugucke, das finde ich romantisch“, spottet sie. Yeah! Mein Mädchen! Das beim Spaziergang immerfort auf die Füße schauen muss, damit es nicht auf die Nase fällt. Ich hebe sie hoch und wirble sie in der Luft herum.

„He, meine Sachen..!“

Im Freibad kommen wir gut klar. Küsse am Beckenrand, auf die Draculastelle am Hals. Frauen wollen ein bisschen getötet werden beim Küssen, und am Hals wissen sie nie so genau, ob man es nicht vielleicht ernst meint mit dem Töten, und sie genießen es.

Sie hat neue Sommersprossen bekommen.

„Das ist ne Mücke, du Blöd.“

Ich mach sie platt.

„Arsch, das tut weh!“

Auf der Liegewiese der übliche Kampf ums Badetuch. Wir haben Spaß miteinander und mokieren uns über die Nachbarin („hat die ne Riesentrompete im Gesicht“, „gleich platzt die“, „was das wieder ne Sauerei gibt“), aber wir verdrücken uns nicht wie früher in eine der engen Umkleidekabinen, für ein paar Ferkeleien im Stehen. Wir kommen gar nicht erst auf die Idee. Wir vertrocknen.

Als sie in der Sonne ein Nickerchen hält, denke ich, „weißt du noch im Zoo?“ Unsere magischen Sonntage? Sie trug ihr braunes Indianerkleid und war gut gelaunt. „Schubkarrenfleisch“, rief sie, „los, hinterher!“ Wir verfolgten den Tierpfleger bis ins Affenhaus, wo Javaner-Affen von Stahlgerüst zu Stahlgerüst turnten. Auf Bali, ihrer Heimat, verehrte man sie in vergangenen Zeiten als heilige Wesen. Unantastbar. „Wir bleiben uns ewig heilig“, schworen wir uns. Antastbar.

Im Vogelhaus, bei den gestörten Papageien, fischte ich Lena eine ausgerupfte Feder aus der Voliere, die sie sofort entsorgte, draußen im weitläufigen Wildgatter. Zwischen Mufflon und Rehkitz fanden wir eine einsame schattige Bank. Lena stieg auf meinen Schoß. Schob den Slip beiseite. Ich schmeckte ihren Hals. Draculaküsse, Papageienschreie. Rote Flecken. Die Bank kippte im richtigen Moment.

Am späten Nachmittag nimmt uns ein Bekannter mit in die Stadt. Wir gehen ins Mumms, trinken was. Gerade wollen wir abhauen, da schiebt sich ein Sittenstrolch zur Tür hinein, hervortretende Wangenknochen, Bürstenhaarschnitt, „Vaffanculo!“ Benzini, der alte Zigeuner! Wirft den Kopf in den Nacken und pumpt seine Freude am Dasein gen Decke, als lache er den Herrgott an. Als wolle er seinen Spaß mit dem Größten teilen.

„Benzini“, sag ich. „Lange nicht gesehen. Letztes Wochenende.“

Er lebt seit Jahren in Köln, wo er mit gebrauchten Chevys handelt, die er aus Florida importiert, die Wochenenden jedoch verbringt er weiterhin in Solingen. Hier hat er sein Publikum, das dankbar ist für einen wilden Mann mit Einsichten.

„Ich bin ein Pechvogel, darum muss ich besonders clever sein.“

Zu dritt brettern wir nach Gräfrath, ins Metropol. Die Sonnenterrasse ist überfüllt mit bekannten Gesichtern. Ich hole Stühle hinzu. Lena scheint es zu genießen.

„Fast ein Déjà-vu“, sagt sie.

Wir teilen einen dampfenden Champignontopf und zwinkern uns zu, die Nasen rot und knusprig vom Tag im Freibad. Dann muss sie los ins Nordpol, kellnern. Wir verabreden, dass ich später in der Nacht zu ihr komme. Oha. Das geht garantiert in die Hose. Bis dahin bin ich natürlich stratzevoll.

„Du musst dich entscheiden, ob du liebst oder nicht“, krächzt Benzini am Tresen. Zuerst bin ich empört, „ja, aber das Herz!“, doch je länger wir trinken, desto unsicherer werde ich. Stimmt vielleicht mein ganzes fatalistisches Gerüst nicht? Dass man seinem Schicksal nicht nachlaufen soll, es holt dich so oder so ein – es ist schließlich deins.

(Wo soll es sonst hin?)

Um zwei Uhr in der Nacht rudere ich den Hauswänden entlang zur August Dicke Strasse. Aus ihrem Vorgarten pflücke ich eine kleine weiße Blume. Eine Lilie vielleicht. Keine Ahnung. Lena öffnet verschlafen die Tür und legt sich gleich wieder hin. Ich kitzle sie unter der Nase. Sie schreckt zurück.

„He! Ich will kein ausgelutschtes Kaugummi..!“

Das hätte sie nicht sagen dürfen, nicht so, so verschlafen sie auch sein mag. Ausgelutschtes Kaugummi.. Wie treffend. Und dann geht – einmal mehr – die Post ab. Sie schreit mich an. Was mir überhaupt einfiele.

„Platzt hier mitten in der Nacht rein und beschimpfst mich wegen so einem Scheiß! Nur weil ich.. die Blüten mit einem Kaugummi verwechselt habe.“

Das habe sie so nicht gemeint.

„AUSGELUTSCHTES KAUGUMMI!“

Ich kriege mich kaum mehr ein. Ich bin besoffen. Dramatisch. Nehme unseren Status quo auseinander und knalle ihn ihr vor die Füße. Ich heule. Sie heult. Dieses Drecksdrama! Diese Dreckswahrheiten.

Dass sie es nicht mehr mitansehen könne, wie ich in den Tag reinlebe, perspektivlos und ohne Knete und auf die Loyalität meiner Freunde bauend. Dass sie das früher an mir geliebt habe, diese Sorglosigkeit, doch jetzt „hängt es mir zum Hals raus, weil sich nichts entwickelt, weil du ein kleines Arsch bleibst, wenn du nicht langsam dein Leben in die Hand nimmst.“

Wie ich mir überhaupt meine Zukunft vorstelle, fragt sie, so als größter Drückeberger der Welt. Antworte ich, dass ich nichts als die Gegenwart brauche, „die macht genug Rückenwind, wenn man sie heranlässt, so von hinten.“

„Ach du immer mit deinen.. Sätzen!“

Im übrigem ist ihr aufgefallen, dass ich beim Schreiben niemals ein Semikolon setze, so ein Ding, weniger als ein Punkt und mehr als ein Komma. Das Zeichen, das signalisieren soll, Leser, jetzt kommt was Neues in Anlehnung an das Alte.

„Gibt dir das nicht zu denken?“

Und dass ich ihr Traummann war und bin und bleibe, so vom Charakter her, und irgendwann schlafen wir einfach ein, die Fenster sperrangelweit offen.

Wie immer werde ich vor ihr wach. Ich geh ins Badezimmer und brause meinen Schädel mit eiskaltem Wasser ab. Zieh mich an. Wecke sie.

„Ich muss los.“

Tränen in den Augen. Abschied. Der nächste Abschied.

„Das ist aber doch jetzt kein Abschied“, flüstert Lena, ich höre ihr Herz klopfen hinter den Worten. Ich mach mich los. Pflücke vor ihrem Fenster eine Blume. Werfe sie in ihr Zimmer. Bleib einen Moment stehen. Warte. Sie kommt ans Fenster. DRAMA. Ich schlage die Hände vors Gesicht. Gehe. Gehe. Gehen.

Als ich nach Hause komme, geht das Telefon. Ich bin froh, dass sie es ist. Wir machen ab, dass wir uns eine Weile in Ruhe lassen.

„Aber nur einen Augenblick“, sagt sie.

Ja. Nur einen.. Augenblick.
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http://glumm.wordpress.com

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